Bulgarische Kleinbahnen in 600 mm Spurweite

Europa, zu Beginn des Ersten Weltkrieges: Wie schon in den Jahrzehnten zuvor brodelte es in dem „Pulverfass Europas“ (Balkan). Jeder Staat erhoffte sich, durch Unterstützung eines Kriegsbündnisses seine Gebietsansprüche durchsetzen zu können. Auch das Zarentum Bulgarien zögerte zunächst, ob es auf Seiten der Mittelmächte (und damit auch des Osmanischen Reiches, von dem es sich erst 1878 gelöst hatte) oder auf Seiten der Entente (zu der auch das noch neutrale Griechenland und Rumänien, die Bulgarien in den Vorjahren Gebiete abgenommen hatten, tendierten) eintreten sollte. Am 14.10.1915 trat Bulgarien schließlich auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg ein. Grund dafür waren nicht nur die großzügigen Gebietsversprechen, sondern auch die Zusage Deutschlands, in großem Umfang Eisenbahnmaterial zur Erschließung des Landes zur Verfügung zu stellen (konkret 797 km Gleis, 1510 Weichen in 600 mm Spur sowie 220 Lokomotiven, 140 Wasser- und 1800 Brigadewagen).

Zar Ferdinand (im hellen Mantel) sowie die Prinzen Boris und Kyrill (im Führerstand), um 1910.

Zar Ferdinand (von Sachsen-Coburg-Gotha) und Kronprinz Boris waren beide Förderer der Eisenbahn und geprüfte Lokführer. Doch bestand das Eisenbahnnetz 1915 im Wesentlichen aus der Hauptbahn Wien-Konstantinopel, die über Sofia durch Bulgarien führt, sowie der Strecke Warna-Russe, die Donau und Schwarzes Meer verbindet. Eine Nord-Süd-Verbindung sowie eine flächige Erschließung des Landes mit Nebenbahnen fehlten vollkommen, was die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch militärische Unternehmungen hemmte. So wurde ein umfassendes Netz von Schmalspurbahnen in 600 und 760 mm Spurweite entworfen, die kurzfristig realisiert werden und später zu Normalspurbahnen ausgebaut werden sollten.

Die Strumatalbahn (Radomir – Petritsch (– Strumica))

Wichtigstes Projekt dabei (insbesondere im Hinblick auf die geplante Offensive gegen Serbien und im Anschluss Griechenland) war die Errichtung einer Bahnlinie in Richtung griechischer Grenze, um die Truppen in Mazedonien versorgen zu können. Es entstand mit deutscher Hilfe und unter Verwendung von Material der Heeresfeldbahn eine Bahnstrecke von Radomir nach Strumica und Kulata durch das Strumatal, die insbesondere für die Versorgung der Salonikifront wichtig wurde. Die Strecke war bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Normalspurbahn projektiert und wurde aus Zeitgründen zunächst als Feldbahn ausgeführt. Mit einer Länge von rund 250 km, zwei Tunneln, 20 größeren Brücken, insbesondere über den Fluss Struma, sowie zahllosen Einschnitten und Aufschüttungen unterschied sie sich deutlich von einer normalen Heeresfeldbahnstrecke.

Ein gemischter Güterzug überquert den Fluss Struma, um 1917.

Karte des bulgarischen Eisenbahnnetzes (Strumatalbahn links unten).

Von Anfang an war diese Bahn zum längerfristigen Betrieb und zur wirtschaftlichen Erschließung dieses Gebietes gedacht. So entstanden bereits im Ersten Weltkrieg einige Nebenlinien, wie zu den Kohlevorkommen um Bobov Dol und in das Rila-Gebirge zur Erschließung der dortigen Waldbestände.

Ein Postzug im Strumatal 1917.

Nachdem sich die Salonikifront auf dem Gebiet des heutigen Nordmazedoniens und Griechenlands im Laufe des Jahres 1916 verfestigte, entstanden weitere Bahnen zur Versorgung der Front, darunter die etwa 200 km lange Strecke von Gradsko und Veles bis Prilep und Kazani sowie die 167 km lange Strecke von (Skopje-) Gostivar Richtung Ohrid, die erst 1923 fertiggestellt und von der jugoslawischen Staatsbahn bis 1966 als Kleinbahn betrieben wurde.
Aber auch auf der Gegenseite entstanden ab 1916 und besonders mit dem Kriegseintritt Griechenlands 1917 Feldbahnstrecken zur Versorgung der Front. Da sowohl französische als auch britische Truppen hier stationiert waren, kamen Fahrzeuge und Material beider Armeen zum Einsatz. Eine Lokomotive des Typs „Progrès“ von Decauville davon gelangte 1982 als Lok 7 in das Frankfurter Feldbahnmuseum!
Im Rahmen der Großoffensive von 1918 baute das britische Militär eine Verbindungsbahn von der griechischen Staatsbahn in Neo Petritsi bis zum Endpunkt der Strumatalbahn in Kulata. Damit bestand eine durchgehende Verbindung zwischen dem griechischen und bulgarischen Eisenbahnnetz. Diese Strecke wurde nach 1918 auf griechischer Seite auf Normalspur umgebaut.
1922 beschloss die bulgarische Regierung die Umspurung der Strumatalbahn auf Normalspur, die sich aber wegen Geldmangels immer wieder verzögerte. Zwischen 1925 und 1930 wurden die ersten 45 km bis Dupnica umgespurt. 1937 erreichte man nach weiteren 32,5 km Blagoevgrad und bis 1945 den Bahnhof General Todorov, 16 km vor der griechischen Grenze. Auf der Zweigstrecke bis zur Grenze in Kulata lag noch bis 1965 das Schmalspurgleis, ehe auch hier die Normalspur Einzug hielt. Noch länger, nämlich bis zum 01.06.1969, hielt sich der Betrieb auf dem etwa 10 km langen Reststück von General Todorov bis Petritsch, hier endete der letzte Kleinbahnverkehr der BDZ auf 600 mm-Spur. Heute ist die Strumatalbahn eine zweigleisige, elektrifizierte Hauptbahn.

Die Fahrzeuge

Für den dauerhaften Betrieb als Kleinbahnen war auch die Beschaffung entsprechender Fahrzeuge, die vom Standard der Heeresfeldbahnen abwichen, nötig. Ein erster Schritt in diese Richtung war die 1916 durch Henschel erfolgte Fertigung der Brigadelokomotiven mit vergrößerter Rostfläche, da die in Bulgarien zur Verfügung stehende Kohle auf Grund ihres niedrigen Heizwertes die Leistung der ohnehin bis an die Grenze belasteten Lokomotiven weiter einschränkte.

Darüber hinaus wurden für den Personen- und Warenverkehr geschlossene Wagen benötigt. Doch die deutschen Waggonfabriken scheuten sich, solche Fahrzeuge auf Basis der Unterwagen der Heeresfeldbahn zu liefern. Zu groß war die Sorge, diese könnten auf Grund des hohen Schwerpunktes auf dem einfachen Oberbau umstürzen. Nur die Waggon- und Maschinenfabrik vorm. Busch in Bautzen erklärte sich bereit, entsprechende Fahrzeuge herzustellen. 1917 wurden 20 Salonwagen für die bulgarische Militärkommission geliefert. Die Wagen besaßen ein Dienstgewicht von 5800 kg und boten 6 Sitzplätze, ein Bett, Ofenheizung und Toilette. Vorgesehen waren sie wohl als mobile Kommandostände.

Aus: Leipziger Illustrierter Zeitung, November 1918

Weiterhin forderte man:

  • Personenwagen der 2. Klasse (5550 kg, 21 Plätze)
  • Hilfspersonenwagen (2850 kg, 18 Plätze)
  • Gedeckte Güterwagen (3000 kg, 6t Ladegewicht)

Die Auslieferung verzögerte sich auf Grund des Kriegsverlaufes bis 1920, Stückzahlen sind bisher nicht bekannt.

Die Rilabahn ((Kocerinovo –) Struma – Kloster Rila)

Die Brüder Todor und Costa Balabanov gründeten 1902 in Barakovo südlich von Kocerinovo ein Sägewerk. 1912 übernahm Ivan Balabanov (Sohn von Todor) den Betrieb. Da auch das Militär Holz, Papier und Pappe benötigte, stieß das bereits seit 1904 vorhandene Bestreben, eine Waldbahn in das Rila-Gebirge zu bauen, nun auf offene Ohren. So entstand 1916 eine Zweigstrecke von Struma über Barakovo bis zum Ort Orlitza, wo das aus dem Rilagebirge geflößte Holz umgeladen werden konnte.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde unter Führung von Ivan Balabanov die „Bulgarische Forstindustrie“ (Bŭlgarska Gorska Industriya BGI) gegründet, die die Bahn bis 1924 zum Kloster Rila verlängerte und die Holzvermarktung übernahm. Als Folge der russischen Revolution kamen 1921 tausende zarentreue Flüchtlinge nach Bulgarien. Etwa 600 wurden von Balabanov nach Barakovo eingeladen, darunter viele Intellektuelle. Barakovo entwickelte sich somit zu einer Kleinstadt mit eigenem Theater, Orchester, Kino und Krankenhaus. 1926 baute Balabanov in Barakovo eine Papierfabrik, die in den nächsten Jahren zur größten Bulgariens wurde.

Die Rilabahn wurde in dieser Zeit zwischen Rila und Kloster Rila von der bulgarischen Forstindustrie betrieben.

Ein beladener Holzzug auf dem Weg nach Barakovo, ca. 1920.

Parallel zum Güterverkehr entwickelte sich ab 1927 auch ein reger Pilgerverkehr zum Kloster Rila, der mit Fahrzeugen der Bulgarischen Staatsbahn abgewickelt wurde. Bald verkehrten sogar durchgehende Züge von Dupnica zum Kloster Rila. Um das Verkehrsaufkommen (insbesondere in den Sommermonaten) bewältigen zu können, wurden zwischen 1925 und 1931 weitere Brigadewagen zu halboffenen Personenwagen umgebaut sowie Fahrzeuge von der Strumatalbahn hierher umgesetzt.

Pilgerverkehr zum Kloster Rila, um 1930.

1937 erreichte die schrittweise Umspurung der Strumatalbahn Struma, sodass die Rilabahn zu einem Inselbetrieb wurde. Aus diesem Grund baute man in Kocerinovo, wenige Kilometer nördlich von Struma, einen Umschlagbahnhof und in Rila ein neues Betriebswerk. 1942 übernahm die BDZ die gesamte Strecke zwischen Kocerinovo und Kloster Rila. Die BGI, die ab 1928 BKDI (Bulgarische Holz- und Papierindustrie) hieß, betrieb nun nur noch einige Stichstrecken im Forst sowie den Anschluss der Papierfabrik. 1947 erreichte die Rilabahn mit 53,2 km Gleislänge (davon 36,9 km Hauptstrecke und 10,7 km Anschlussstrecken) ihre größte Ausdehnung, in diesem Jahr werden 214.623 Passagiere gezählt. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Bildung der Volksrepublik Bulgarien wurden Holzindustrie und Papierfabrik verstaatlicht.

Am 31.03.1960 wurde die Bahnstrecke Barakovo-Rila Kloster eingestellt. Fortan verblieb nur noch zwischen Barakovo und Kocerinovo ein Restbetrieb als Werkbahn der Papierfabrik in Barakovo, welcher Mitte der 1970er Jahre eingestellt wurde.

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